Dienstag, 8. Dezember 2020    

Der ehrliche Umgang mit eigenen Fehlern

Marianne BrandtMariä Empfängnis wird das "Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria" genannt. Wenn wir tun, was die Beziehung zu Gott und anderen Menschen stört, kann dies weitreichende Folgen haben. Eva will verständig werden und entscheidet sich, eine Frucht vom verbotenen Baum zu essen. Sie wird aus dem Garten Eden verwiesen und diese generationenübergreifende Trennung von Gott wird Erbsünde genannt.

Am heutigen Tag feiern wir, dass Maria von Beginn an ohne die Sünde ist, die den Menschen von Gott trennt. Gott geht mit Maria einen neuen Weg. Und er geht noch weiter: Er wird selbst Mensch durch Maria; Maria wird die Mutter des Gottes- und Menschensohns.

In Italien ist Mariä Empfängnis ein bedeutender Feiertag und so stand Papst Franziskus letztes Jahr an diesem Tag an der Mariensäule der Spanischen Treppe in Rom, um dies zu feiern. Dabei rief er zu einem ehrlichen Umgang mit eigenen Fehlern auf.

2010 hörte Pater Klaus Mertes SJ, Rektor am Canisius Kolleg, ehemalige Schüler an und glaubte den benannten Missbrauch. Mit einem Brief an Ehemalige begann dort der Prozess der Aufklärung und Aufarbeitung. Pater Mertes ging ehrlich mit den Fehlern am Canisius Kolleg um. Dafür wurde er von Manchem als Nestbeschmutzer wahrgenommen.

2018 wurden der Deutschen Bischofskonferenz die Ergebnisse des Forschungsprojekts „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“ präsentiert: Bei 1.670 Klerikern fanden sich Hinweise auf Beschuldigungen zu sexuellem Missbrauch, 3.677 Kinder und Jugendliche wurden als Opfer dokumentiert, in 62,8% der Fälle waren männliche Kinder oder Jugendliche betroffen. Die Fallzahlen dürften höher liegen, da nur ein Teil der Akten untersucht wurde, manche Akten nachträglich bearbeitet und nicht alle Übergriffe angezeigt wurden oder den Weg in die Akten fanden. Die MHG-Studie kommt zu dem Schluss, dass es strukturelle Gründe sind, die den Missbrauch begünstigen.

Die Kirche machte sich auf den Synodalen Weg. Seither wurde offenbar, dass es nicht nur Kinder und Schutzbefohlene waren, die Missbrauch in der Kirche erlebten. Der Blick in den Abgrund geht weiter: Ordensfrauen machten öffentlich, dass Missbrauch durch Kleriker stattfand und stattfindet. Weiter fällt der Blick auf den geistlichen Missbrauch von Gläubigen, der ein Einstieg in den sexuellen Missbrauch sein kann. Wir haben von Vertuschung und männerbündischen Strukturen gelesen. Um so wichtiger ist es, das verloren gegangene Vertrauen der Katholik*innen und der Gesellschaft zurückzugewinnen. Dazu bedarf es großer Klarheit und des Aushaltens des Blicks in den Spiegel. Der Widerstand auf der Seite mancher Bischöfe ist groß.

Kurz nach seinem Amtsantritt 2018 hatte Bischof Heiner Wilmer den Machtmissbrauch als in der DNA der katholischen Kirche liegend bezeichnet. Er diagnostizierte, dass es ein radikales Umdenken und Gewaltenteilung in der Kirche brauche, Selbstherrlichkeit und Anspruchsdenken der Bischöfe enden müssten.

Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki konterte, wenn dies so sei, dass Machtmissbrauch in der DNA der Kirche liege, dann müsse er austreten. Diese Aussage erstaunt, zumal er für das Erzbistum Köln schon vor der Präsentation der Ergebnisse der MHG-Studie eine unabhängige Untersuchung zum Umgang mit Fällen sexualisierter Gewalt ankündigte, die zum Ziel hatte, auch institutionelles Versagen aufzuklären. Ist er der Auffassung, dass einzelne Personen versagen, während die Kirche, in der Missbrauch und Vertuschung geschehen, unschuldig bleibt?

Die von Erzbischof Woelki für März angekündigte Veröffentlichung der Missbrauchsuntersuchung im Erzbistum Köln wurde zunächst wegen ungeklärter rechtlicher Fragen verschoben und sollte dann wegen Qualitätsmängeln nicht veröffentlicht werden. Mitglieder des Betroffenenbeirats, die sich vom Erzbistum überrumpelt fühlten, traten zurück. Unter #rausmitderakte setzte sich Maria 2.0 Rheinland für die Veröffentlichung ein und weitere Stimmen kamen hinzu. Nach Vorliegen des vor der Anhörung des Betroffenenbeirats beauftragten neuen Gutachtens soll z.B. Journalisten, Betroffenen und Experten das als strittig bezeichnete Gutachten zugänglich gemacht werden. Öffentlich kommt an, dass die Leitung taktisch und mit verborgener Agenda vorgeht, weder menschenachtend noch auf Augenhöhe agiert.

Seit der Veröffentlichung der Ergebnisse der MHG-Studie wurden weitere Untersuchungen von Diözesen beauftragt. Das Bistum Limburg veröffentlichte seine Untersuchung im Juni 2020, das Bistum Aachen im November – bei letzterem war die gleiche Kanzlei wie in Köln am Werk. Der Zwischenbericht des Bistums Münster wurde gerade vorgestellt.

Fazit: Die Ergebnisse der verschiedenen Untersuchungen sind die immer gleichen. Die Themenfelder – Macht, priesterliche Lebensformen, Sexualität, die Rolle von Frauen – des Synodalen Wegs werden immer wieder bestätigt. Diese Themen gehen nicht weg; sie werden größer, je länger sie liegen.

Wie scharf sticht vor dem Hintergrund des heutigen Tages der Freiheit von der Erbsünde die aktuelle katholische Kirche hervor, die sich verzagt, widerständig bis halbherzig im Trippelschritttempo mit der Aufarbeitung befasst und noch lange nicht bis in die letzte Faser erkennt, dass Veränderung Not tut, dringend ist und die Kirche sich am Evangelium messen lassen muss.

Kommen wir zurück zum Papst. Er rief im letzten Jahr zum ehrlichen Umgang mit den eigenen Fehlern auf. Die Kirche hat ein Sturkturproblem, das sich immer wieder vervielfältigt. Machtmissbrauch ist Teil der DNA der katholischen Kirche. Bischof Heiner Wilmer hatte Recht.

Wie sehr wünsche ich mir das für meine Kirche: Dass sie ihre Propheten hört und nicht zu Nestbeschmutzern erklärt, die Stimme erhebt, wenn es recht ist, anerkennt, dass es auch in der Kirche um Macht geht, sie ehrlich ihre Fehler eingesteht. Nötig ist dafür hinschauen, hinhören, hinfühlen und all dies aushalten – auch wenn es weh tut. Und es ist nötig, radikal umzudenken und zu verändern, damit die Kirche wird, wie sie sein soll.

Den ersten Schritt der Veränderung hat Kardinal Reinhard Marx durchgemacht, der eigenes Vermögen in eine Stiftung einbringt, die sich um von Missbrauch Betroffene sorgt und der bekennt, dass die Kirche als Ganze schuldig geworden sei, Missbrauch in der Kirche systemische Ursachen und Folgen habe.

Für mich ist diese Umkehr ein Zeichen der Hoffnung. Dafür bin ich dankbar. Davon erhoffe und erbitte ich mehr.

— Marianne Brandt

 


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