Sonntag, 23. Dezember 2018  ✤  Vierter Advent

Es kommt ein Schiff, geladen

Pfarrer Dr. Wolfgang BeckSchiffe sind eine emotionale Angelegenheit. Für viele Menschen sind sie nach wie vor Inbegriff von Reisen. Sie gelten den einen mit Blick auf luxuriöse Kreuzfahrten als Inbegriff des Sehnsuchtsurlaubs. Den anderen sind sie Inbegriff von Umweltsünden und der Ausbeutung asiatischer Arbeiter*innen „unter Deck“. Als überladene Schlauchboote sind sie den einen eine verzweifelte Hoffnung auf ein besseres und friedvolles Leben jenseits des Mittelmeeres, den anderen machen eben diese Boote Angst. Mit Schiffen und Booten lässt sich Politik machen, lassen sich Sehnsüchte erzeugen und Ängste schüren. Dass sich mit Schiffen sehr leicht Krisen erzeugen und Kriege anzetteln lassen, ließ sich erst jüngst an einer Meerenge zwischen der Ukraine und Russland lernen.

Vor diesen vielfältigen Hintergründen kann einen beim Singen des alten Adventsliedes fast der Atem stocken. „Es kommt ein Schiff, geladen bis an sein höchsten Bord“ (Gotteslob Nr. 236) ist eines der ältesten deutschen Kirchenlieder, das von dem evangelischen Prediger Daniel Sudermann im 17. Jahrhundert überliefert ist und auf den Mystiker Johannes Tauler im 14. Jahrhundert zurückgeht. Auf die seine ersten drei Strophen, die sich mit dem „beladenen Schiff“ beschäftigen, folgen drei weitere aus späterer Zeit mit direktem Bezug zum Weihnachtsfest.

Das Schiff, hochbeladen bis „an sein höchsten Bord“, knüpft an mystische Vorstellungen Taulers an, die das Schiff als Bild der Seele und Maria als Typos des Menschen betrachten. Eigentlich stellt das Lied damit ein marianisches Weihnachtslied dar, was gerade durch eine siebte, nicht mehr im Gesangbuch abgedruckte Strophe verstärkt wurde. Durch die Praxis in Klöstern und Gemeinden wurde das Lied zum Bestand der adventlichen Vorbereitung, erst in der neuen Fassung des „Gotteslobs“ wird es wieder als Weihnachtslied geführt. Die Überfülle der Zuwendung Gottes gegenüber seiner Schöpfung drückt sich hier aus und die Vorstellung des Menschen, der von Gott bewegt wird. Diese Zuwendung Gottes hat keine Grenzen und deshalb ist seine Menschwerdung Ausdruck eines Gottesverständnisses, das von überschwänglicher Liebe bestimmt ist. Diese Liebe kennt kein Maß, erfüllt und bewegt den Menschen. An diesem positiven Menschbild knüpfen die jüngeren drei Strophen an, die die Weihnachtsgeschichte des Lukasevangeliums wiedergeben und die singenden Menschen in diese Geschichte mit hineinnehmen. Dieses Hineinnehmen des Menschen, also gerade aller Sänger*innen des Liedes, ist das große Anliegen der mittelalterlichen Mystik, die bis heute faszinieren kann, auf dass auch ihre Seele ausgefüllt ist mit der Ankunft und Menschwerdung Gottes. Wo die eigene Seele von der Menschwerdung Gottes angefüllt ist, da wird sich dies auch in der eigenen Lebenspraxis und dem Einsatz für die Teilhabe aller ausdrücken. Das Handeln Gottes am Menschen drückt sich nicht bloß in Andacht, sondern genauso im Handeln und dem Blick auf die Benachteiligten aus.

— Pfarrer Dr. Wolfgang Beck


Wenn Ihr mitsingen möchtet, hier der Text:

Es kommt ein Schiff, geladen
bis an sein’ höchsten Bord,
trägt Gottes Sohn voll Gnaden,
des Vaters ewigs Wort.

Das Schiff geht still im Triebe,
es trägt ein teure Last;
das Segel ist die Liebe,
der Heilig Geist der Mast.

Der Anker haft’ auf Erden,
da ist das Schiff am Land.
Das Wort will Fleisch uns werden,
der Sohn ist uns gesandt.

Zu Bethlehem geboren
im Stall ein Kindelein,
gibt sich für uns verloren;
gelobet muß es sein.

Und wer dies Kind mit Freuden
umfangen, küssen will,
muß vorher mit ihm leiden
groß Pein und Marter viel,

danach mit ihm auch sterben
und geistlich auferstehn,
das ewig Leben erben,
wie an ihm ist geschehn.

Maria, Gottes Mutter,
gelobet musst du sein.
Jesus ist unser Bruder,
das liebe Kindelein.

 

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