Sonntag, 20. Dezember 2020       Vierter Advent

Liebe zum Lesen und Sehnsucht nach Gott

Pfarrer Dr. Thomas HankeEs ist gerade erst sechs Wochen her, da war man mit Blick auf Weihnachten eigentlich ziemlich optimistisch, zumindest offiziell. Wir waren in den sogenannten "Lockdown light" gestartet (kein schönes Wort...), und der sollte ja als "Wellenbrecher" dienen, damit Reisen, Besuche und auch Gottesdienste zu Weihnachten kein Problem sein sollten. Dieser Optimismus ist mittlerweile verflogen – stattdessen berechtigte Sorgen und auch ziemlich viel Frust.

Es gibt offensichtlich gute Gründe für Hygienemaßnahmen und Einschränkungen, sie sind leider notwendig zurzeit. Ich halte es für angemessen und bin froh darüber, dass Gottesdienste zu Weihnachten nicht untersagt worden sind. Aber wer weiß, ob nicht der jetzige "harte Lockdown" bald noch einmal härter werden wird? Und selbstverständlich sollte jeder selbst entscheiden, ob er oder sie in diesem Jahr zu Weihnachten in die Kirche gehen möchte oder lieber zu Hause bleibt. Wozu ich ermutigen möchte: Egal ob in der Kirche oder daheim, versuchen wir, aus diesem Weihnachten ein spirituelles Fest zu machen.

Im Lauf dieses Jahres sind mir immer wieder zwei Formulierungen durch den Kopf gegangen, die ich gern mit Euch und Ihnen teilen möchte. Die eine ist ein Satz aus dem Johannes-Evangelium. Jesus hat ein intensives Gespräch mit einer Frau, deren Namen wir nicht kennen, am Jakobsbrunnen in Samarien. Die Frau vertraut ihm an, dass sie schon viel darüber nachgedacht hat, an welchem Ort man Gott verehren solle, aber sie habe noch keine gute Antwort gefunden. Jesus gibt ihr den Ratschlag: "die Stunde kommt und sie ist schon da, zu der die wahren Beter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit; denn so will der Vater angebetet werden. Gott ist Geist und alle, die ihn anbeten, müssen im Geist und in der Wahrheit anbeten" (Joh 4, 23-24). Es kommt nicht auf den Ort an, an dem du gerade bist. Es kommt darauf an, dass du dein Herz öffnest für Gottes Weite und Liebe. Nachdem Jesus den Satz zu der Frau gesagt hat, erkennt sie, dass er der Messias ist, der Retter, der von Gott zu ihr gesandt wurde.

Die zweite Formulierung, die mir in diesem Jahr immer wieder durch den Kopf gegangen ist, ist der Titel eines französischen Buches. Es handelt sich zwar um ein wissenschaftliches Buch (über Mönche im frühen Mittelalter), aber der Titel klingt sehr poetisch: L'amour des lettres et le désir de Dieu. Etwas frei übersetzen kann man das mit: Liebe zum Lesen und Sehnsucht nach Gott. Das Lesen bezieht sich hier vor allem auf die Bibel. Die Bibel kann uns auch im Lockdown nicht genommen werden: die Bibel mit ihren tröstenden und heilbringenden Worten, wie das oben zitierte eines ist. Ja, ich glaube, dass viele Menschen eine Sehnsucht nach Gott verspüren, gerade zu Weihnachten, gerade in Zeiten wie diesen. Verbinden wir die Sehnsucht nach Gott mit der Liebe zum Lesen in der Bibel oder von anderen anregenden Texten, mit der Liebe zum Nachspüren nach unseren Bedürfnissen, Fragen und Hoffnungen, der Liebe zum Nachdenken, zum Meditieren. Vielleicht können wir dann spüren, am ganzen Leibe spüren, was ebenfalls dort im Johannes-Evangelium steht: dass Gottes gutes Wort Fleisch geworden ist und mitten unter uns gewohnt hat (Joh 1,14), mit einem Körper und mit einem Herzen und mit einem Gesicht, wie wir sie haben. Das ist die frohe Botschaft von Weihnachten.

Einen gesegneten 4. Advent!

– Pfarrer Dr. Thomas Hanke



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