Mittwoch, 2. Dezember 2020    

„Wachet auf!“ – am Tag zur Abschaffung der Sklaverei

Pfr. Dr. Wolfgang BeckEs ist keine optimale Zeit für die Präsentation neuer Kinofilme, wenn überall Kinos geschlossen sind. Das hält den Regisseur Milo Rau jedoch nicht ab. In diesem Dezember präsentiert er den Film „Das neue Evangelium“ der breiten Öffentlichkeit. Dabei hat er nicht etwa einen klassischen Jesusfilm produziert, sondern realisiert zentrale Elemente des Evangeliums an Orten in Europa, an denen Menschen auf besonders perfide Weise ausgebeutet werden und unter empörenden Verhältnissen leben müssen.
Dazu gehören Obst- und Gemüseplantagen in Süditalien, auf denen afrikanische Migranten unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten und leben. So wird deutlich, dass mitten in Europa Menschen wie Sklaven leben müssen. Ein Großteil des Wohlstands westlicher Länder verdankt sich Formen der Ausbeutung, auch heute. Das ist ein bitterer Umstand, an den wohl niemand im Supermarkt beim Griff nach Tomaten oder Orangen aus Italien gerne denkt. Doch wenn zum adventlichen Programm der Kirchen auch der Ruf „Wachet auf“ und „Seid wachsam!“ gehört, dann sind damit auch unbequeme Wahrnehmungen verbunden. Niemand kann dann die Botschaft des Evangeliums hören, ohne das Schreien und die Verzweiflung von Menschen in unserer Zeit wahrzunehmen.

Der Regisseur Milo Rau verdeutlicht diese unbequeme Seite des Evangeliums, indem er biblische Szenen mit den afrikanischen Migranten inszeniert. Und er greift damit auch das Anliegen von Papst Franziskus auf, der auf der Insel Lampedusa die „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ kritisierte.
Es mag für viele Christ*innen in unseren Breiten ungewohnt sein, Jesus und die Jünger als Menschen afrikanischer Herkunft zu sehen. Genau darin liegt aber die Wahrnehmungshilfe des Films „Das neue Evangelium“, um mit einer Übersetzung des Evangeliums in 21. Jahrhundert die Botschaft von Jesus Christus ernst zu nehmen.
Von den Vereinten Nationen wird der 2. Dezember seit siebzig Jahren als „Tag zur Abschaffung der Sklaverei“ begangen. Sklaverei ereignet sich heute nicht mehr auf Marktplätzen und mit Eisenketten. Sie lässt sich ignorieren und ist doch nicht weit vom eigenen Leben entfernt. Sie lässt sich auf den zweiten Blick erkennen, wo Menschen systematisch ausgebeutet und Lebensperspektiven verhindert werden.

— Pfarrer Dr. Wolfgang Beck

 


 

Hier gibt es den Trailer zum Film „Das neue Evangelium“:

Nähere Informationen zum Film „Das neue Evangelium“

Literaturempfehlung:
Gilles Reckinger: Bittere Orangen. Ein neues Gesicht der Sklaverei in Europa, 2018.

 


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